Donnerstag, 18. April 2013

IDOMENEO - Der Blick aufs Ganze liegt in den Details

Die letzte Opern-Sensation im Theater Basel liegt schon ein Weilchen zurück. Es gab zwar immer spannende Inszenierungen doch nun wird einem auf der Grossen Bühne endlich wieder mal mit einer unglaublichen Wucht den Boden unter den Füssen weggesprengt.

David Bösch ist in Basel gelandet, inkl. einem Hochseecontainer durchtriebener Ideen, philosophischen Lesemöglichkeiten und einem unglaublich packenden, sehr konsequenten Bühnenbild (Falko Herold, auch Kostüme und Video). Im Programm: Mozarts Meisterstück IDOMENEO. Wieder mal packt uns die griechische Sagenwelt mit Drama an der Gurgel um ganz sanft und liebevoll zuzudrücken.

Der Abend beginnt mit einem animierten Puppenfilm in dem als Trittbrett auf die Vorgeschichte eingegangen wird. Der erste Teil des ersten Aktes ist pure Exposition mit einer wörtlich-bildlichen Requisitenschlacht mit Liebesballonen und Herzgeschenken. Neben der Frage, ob dies nun wohl so weitergeht, bemerken wir nicht, dass diese Requisiten eigentlich spitze Nadeln sind, welche unsere Venen durchbohren um unser Zuschauerblut unbemerkt mit Subtext füllen. Die Requisiten sind zu bewusst offensichtlich gewählt. Was erst im zweiten Blick auffällt ist die Figurenzeichnung. Neben den sängerischen Leistungen leidet das Ensemble auf sehr hohem Niveau spielfreudig an ihren aussichtslosen Situationen. Mit der Darstellung von Neptun als Riesen-Pinata schraubt sich die Inszenierung dem ersten Höhepunkt entgegen. Und mit diesem, nach Kindergeburtstag riechenden Schlussbild, zeigen sich auch schon die ersten Interpretationsmöglichkeiten. Die Kindlichkeit der gebrauchten Requisiten steht im Bezug auf das überhöhte Drama der Relevanz nach Zugehörigkeit. Auch die Vehemenz, wie für bestimmte, nicht nachvollziehbare Aspekte Partei genommen wird unterstützt diesen Gedanken der Kindlichkeit.

Pause. Lust auf mehr.

Im zweiten Akt sind die Requisiten überschaubarer. Die meisten befinden sich im Koffer der sensationell agierenden Elettras (eine grossartige Simone Schneider), welche gekonnt von der genüssliche Bosartigkeit in eine ehrliche Verletztheit kippt. Der zweite Akt steht im Zeichen der Illustration. Die Tiefgründigkeit, in welcher die skizzenhaften Zeichnungen sanft zum Leben erweckt werden erinnert sehr stark an Ben Templesmith (unbedingt reinlesen FELL, geschrieben von Warren Ellis) und aus der Inszenierung wird plötzlich das Tor zu einer neuen Assozationskette aufgestossen. Die Figuren erinnern an den von Neil Gaiman erschaffenen Kosmos SANDMAN (bald als neue Hardcover-Version erhätlich!) Gaiman schaffte es in seinem Überepos gekonnt, literarische Fäden neu zu knüpfen und Verbindungen zwischen den verschiedenen Ebenen neu zu zeichnen. Bösch gelingt dies hier auch. Die Figuren werden aus ihren eigentlichen Rollen gelöst und agieren als Sinnbilder, in bester Kopfoper-Tradition. Dass sich Gaimans und Böschs Ebenen in der Figurenführung spiegeln liegt nicht nur an dem Burtonesquen Auftritt von Elettra. Spannend ist die Ungreifbarkeit, das Wechseln des Blickpunktes der einzelnen Figuren. Dies wird sich im dritten Akt einlösen. Zudem schafft es endlich ein Regisseur, das von Neptun gesandte Monster unbillig darzustellen. Kudos.

Pause. Inspiration pur.

Im dritten Akt öffnet sich leider die Darstellerschere. Elettra dominiert nach dem zweiten Akt weiter. Idamante (Solenn Lavant-Linke) und Ilia (Laurence Guillod) können ihr mit zärtlicher Verzweiflung grade noch das Wasser reichen. Abrace (Karl-Heinz Brandt) trumpft mit linkischen Tricks des alten Griesgramms auf, doch Idomeneos (Steve Davislim) hölzernes Spiel passt nie so richtig in die sonst sehr stimmige Inszenierung. Gesanglich zwar voll da, sind seine Aktionen mit der ewigen Kronenverweigerung jeweils zu klassisch als grosse Geste geführt. Bei den anderen Mitspielern nimmt die Tiefgründigkeit viel mehr Platz ein. Im dritten Akt fällt dies durch die Personenkonstellationen der gegebenen Arien erst richtig ins Gewicht. Man kann gespannt sein auf die Zweitbesetzung. Ensembemitglied Rolf Romei hat sich durch die Jahre als starker Darsteller gezeigt und dies lässt hoffen auf klarere Interpretationen am Ende der Inszenierung. Denn der Schluss hat es in sich. Bösch zieht nochmals alle Register und rüttelt uns im letzten Teil des dritten Aktes durch bis zum Schauer auf dem Rücken. Die Bilderflut der vorigen Akte verdichtet sich. Emotionale Assozationen schliessen Kreise. Opfer, Wahn, Hörigkeit, Ehre, Mitgefühl, Pathos und die allgegenwärtige Versprechung lassen die Figuren zu den Puppen werden, welche am Anfang im Film gesehn wurden. Bis sie aus ihren (fremd)bestimmten Rollen ausbrechen. Textgenaue Umdeutungen zeigen Blicke in Metaebenen innerhalb der Metaebenen. Mozart webt das ganze mit seiner Komposition zusammen.

Ende. Fasziniert, von Wucht gezeichnet.

Seit der mutigen philosophischen und bis zur Schmerzgrenze ästhetisierten Reduktion von Wagners Parsifal in der Saison 10/11 (http://wastethelight.blogspot.ch/2011/04/parsifal.html) ist dieser IDOMENEO endlich wieder eine Konzept-Oper, welche am anderen Ende des Spektrums funktionert: Bühnenzauber, Requisitenschlacht, fast schon zu viel Gerümpel auf der Bühne. Doch alles geschickt und mit viel Wissen geschichtet, gekonnt verköstigt, mit Verve abgeschmeckt und mit Elan serviert. Eigentlich wie die perfekte Thai-Suppe: durch die Vielzahl der frischen Zutaten ist jeder Bissen leicht anders und hält den Spannungsbogen bis zum Schüsselboden. Bei Idomeneo sieht man jedoch durch diesen Boden in eine andere Welt. Und die Abgründe dahinter.


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