CLOUD ATLAS ist ein
Biest von einem Buch. Denn eigentlich sind es sechs Geschichten, welche auf den
ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Diese sechs Minibücher werden
Sandwich-mässig, chronologisch inneinandergesteckt und irgendwie ist dann doch
alles miteinander verknüpft. Mitchel ist ein formliebender Autor. Die Art wie ein Buch geschrieben ist ist
vielmals auch schon der Grundgedanke zum Buch selber. Bei CLOUD ATLAS wählt er
für jede Geschichte eine eigene Genre-Erzählform. Sei es ein Tagebuch, ein
70er-Jahre Thriller oder dialogiertes Erzählen in der Zukunft. Nicht nur die
Form ändert sich durch die Dekaden, auch die Sprache passt sich jeweils der
Zeiten an, in welchen die Geschichten spielen. Und rein für diese formale
Spielerei muss man notumwunden den Hut ziehen. Spannend dabei wären nun die
Verknüpfungen innerhalb der Geschichte. Und da wird’s dann leider eher
Standard. Es gibt nur zwei Ebenen: Referenzen und Seelen-Geschwafel. Die
Referenzen sind eher beiläufig und Standard. Im 70er-Thriller werden
beispielsweise Briefe erwähnt, welche das vorhergehende Buch ausmachten oder
der Charakter Somni sah in ihrer Vergangenheit mal einen Film, werlcher auf die
vorhergehenden Erzählungen basieren, etc.
Die Referenzen sind zwar jeweils sauber umgesetzt, doch erschliesst sich
daraus keine weitere Ebene. Die Beiläufigkeit wird bewusst als Stilmittel
eingesetzt um die vorigen Geschichten nicht auf ein nichtvorhandenes Podest zu
hieven. Das Seelen-Geschwafel wirkt dann doch eher seltsam aufgesetzt. Zwar ist
es nicht explizit erwähnt, doch gibt sich bei den Charakteren ein
wiederkehrendes Bild eines Muttermales in der Form eines Kometten. Dass es sich
dabei um denselben Geist handelt, liegt eigentlich auf der Hand. Beim Lesen
dachte ich jedoch immer, dass mit diesem Wissen innerhalb des Romanes etwas
geschieht, irgendeine weitere Ebene freigeschaltet wird, doch war ich mir am
Schluss darüber nicht bewusst. Es blieb einfach eine schlüssige Behauptung. Der
Roman als Ganzes ist flüssig geschrieben und er macht auch relativ Spass zu
lesen. Die durchgehend gesellschaftskritische Ebene ist zwar normiert, doch in
guten Abständen werden, sauber recherchiert, Einsichten gegeben über die
Charaktere, welche zum Denken anregen.
Die letzten paar Seiten, welche wieder tief in der Vergangenheit
spielen, jedoch das ganze Buch zusammenfassen, lassen dann doch so etwas wie
Euphorie aufleben, welche ich gerne auch zuvor ab und zu gespürt hätte.
Und nun kommt, von einem schon wieder als unverfilmbar
deklarierten Buch, eine Filmumsetzung. Tom Tykwer und die Wachowskis spannten
zusammen und wagten sich, innerhalb des Buches eine neue Form zu finden. Der
sechsminütige Trailer war fantastisch und war ein Auslöser, das Buch im Vorfeld
zu lesen. Doch schon da war klar, dass sie es nicht einfach haben werden. Es
ist ein Arthousefilm im Gewand eines Mainstream-Schinkens. Die Arthouslers
goutieren dies meist nicht und die Mainstreamler verstehen Bahnhof. Schwierige
Grundvoraussetzungen. Dass der Film in Amerika dann auch völlig hinter den
Erwartungen (Erwartungen???) zurückblieb, war nicht wirklich verwunderlich. Den
Filmemachern war von vornherein klar, dass sie die Form des Buches nicht
replizieren konnten. Und dazu gibt es auch keinen Grund. Buch ist Buch und Film
ist Film. Beibehalten wurde der Genre-Gedanke (Science-Fiction kommt als
Science-Fiction, der altertümliche
Briefverkehr als halbe Ivory-Produktion), die offensichtlichen
Verknüpfungspunkte und der Hinweis auf das Seelen-Muttermal. Doch statt die
Geschichten buchähnlich jeweils in zwei grossen Abschnitten zu zeigen, springen
sie munter zwischen den verschiedenen Zeitebenen umher. Aus der
orientierungslosen bewussten Überforderung des Zuschauers schälen sich jedoch
immer wie öfters spannende Parallelen heraus. Durch die Stringenz der
Geschichten; alle fangen gleichzeitig an und finden am Ende des Filmes zu einem
Schluss; verdichtet sich das Bild der Buchaussage, dass sich die Geschichten,
die Motivationen der Menschen, immer wiederholen. Der Mensch bleibt dumm,
ausser er setzt sich über alle psychologischen Hindernisse weg und findet
seinen Weg. Das Dreierteam setzt sehr bewusst gleichartige Szenen gegenüber.
Teilweise übereinstimmend bis in Details wie Bildausschnitte, Kamerafahrten und
Musikeinsätzen. Doch der eigentliche Kern des Filmes ist ein anderer. Statt das
Bild der unsterblichen Seele auf eine Figur zu konzentrieren, bauen sie dieses
Konzept weiter aus. Der charakterliche Erzählbogen durch die Zeiten wird
ausgeweitet auf alle wichtigen Figuren. Um dies visuell umzusetzen, übernehmen
die Hauptdarsteller jeweils die wichtigsten Rollen. Inklusive
Geschlechteranpassungen. Und die Masken sind hervorragend. Einzelne Darsteller
sind so gut getarnt, dass dem Zuschauer nur das Gefühl bleibt, die Figur doch
irgendwie zu kennen.
Diese Ausweitung der Grundidee von Mitchel war für mich um
einiges befriedigender. Natürlich ist dies im Buch auch impliziert, doch die
visuelle Gegenüberstellung von Szenen, der Bogen von Abläufen hat mich am Film
genauso beeindruckt, wie die Darstellung der einzelnen Charaktere des Casts.
Ich wünschte mir, das Buch nicht im Vorfeld gelesen zu haben, um während dem
Film mehr überrascht zu werden.
Wer noch nicht genug Ebenen-Springen hat, eine Empfehlung am
Rande. Der Film THE FOUNTAIN verbindet drei Ebenen (Verganhenheit, Gegenwart,
Zukunft) zusätzlich in einem emotionalen Spektrum, welches Seinesgleichen
sucht.
Hier noch der Trailer zum Film:
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